Nur wer geliebt wird erhält Koseworte und Spitznamen. Umso erstaunlicher, dass dies nicht nur für Menschen gilt, sondern auch für Automobilklassiker, die im Volksmund ihre ganz eigenen allgemeingültigen Bezeichnungen erhalten haben. 99 von ihnen wurde aktuell ein Denkmal gesetzt.
Ein Buch aus Leidenschaft, inspiriert durch Illustrationen, die den Charakter der diversen Schätzchen hervorheben, inklusive den dazugehörigen Lebensläufen und technischen Daten. Doch dass es so viele von Ihnen gibt, hätten sich die beiden Autoren Helge Jepsen und Michael Köckritz nicht träumen lassen. Sie hatten eigentlich nur einen Artikel geplant. Im Tauchgang ihrer Recherche stellten sie fest, dass alle Automobile mit Persönlichkeit fast immer einen individuellen Spitznamen haben. Aus diesem Berg wählten sie 99 Klassiker als erste Auto-Anthologie aus.
Unter den Automobilen finden sich sowohl die beliebten als auch die schrägen wieder. Verkaufszahlen scheinen weder für die Spitznamen noch für die Auswahl im Buch ein ausschlaggebendes Kriterium gewesen zu sein. Wie so oft ist die Unverwechselbarkeit entscheidend. So gibt es neben bekannten Designklassikern wie dem Bondauto (Aston Martin DB5) und der Göttin (Citroën DS) auch ungewöhnlichere Einträge wie den Cellokasten (Fram King S7).
Dass nicht alle Spitznamen schmeichelhaft sind, weiß wohl jeder. Der vom Design her eher gewöhnungsbedürftige VW-Porsche 914 schaffte es, sich bei seinem Erscheinen 1969 nicht sofort erfolgreich in der Mittelklasse zu positionieren. Er wurde kurzweg Putzfrauenporsche genannt. Das klingt abwertend. Dass es nicht an einem selbst liegen muss, wenn man verunglimpft wird, beweist der VW Karmann Ghia (1955 – 1974). Der von Carrozzeria Ghia in Turin designte Wagen gehört sicherlich zu den schönsten Autos in der Geschichte von Volkswagen. Da er aber nur mit mäßigen PS ausgestattet war (maximal 50) und vor allem bei der weiblichen Kundschaft beliebt war, wurde er kurzerhand als Nuttenferrari betitelt. Der mitschwingende Sexismus war zu der Zeit nicht verpönt, denn grundsätzlich sind Spitznamen auch ein Spiegel der Gesellschaft in ihrer Zeit.
Von Ziegen und Nasenbären bis zu Tausendfüßlern, Schwänen, Raben und Laubfröschen sind Kosenamen aus dem Tierreich weit verbreitet. Einer ist gleich mehrmals vertreten und gehört zu den größten Stilikonen seiner Zeit. Es ist nicht schwer zu erraten, dass es sich dabei um den Käfer (ursprünglich KdF Wagen) handelt. Ist er doch das Auto, das Deutschland mehr geprägt hat als jedes andere. So sehr, dass sein Spitzname in der Nachkriegszeit vom Heckfenster abhing. Hatten die Modelle von 1946 – 1953 noch aus pragmatischen Gründen einen Mittelsteg, fiel dieser ab 1953 weg. So wurden die beiden fast gleichen Modelle als Brezel (Mittelsteg) und Ovali (durchgehendes Heckfenster) bezeichnet.
Auffällig ist, dass die Spitznamen für Automobile selten geworden sind, und wir alle zehren von den mobilen Ikonen ihrer Zeit. Woran mag es liegen? An der Persönlichkeit der Fahrzeuge, an mangelnder Liebe zu seinem Gefährt oder an nicht vorhandener Fantasie? Das muss jeder für sich selbst klären, eine simple Antwort gibt es wohl nicht.
„99 Automobile Klassiker und ihre Spitznamen
Helge Jepsen (Illustrationen) Michael Köckritz (Text)
teNeues (2016) € 49,90
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