Töpfernde Transe

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Grayson Perry, einer der schillerndsten Figuren am derzeitigen Künstlerhimmel, hat viele Gesichter: handwerklich begabter, ernstzunehmender Künstler, schräge Kunstfigur in Frauenkleidern, glücklicher Ehemann und Vater – er vereint sie alle. Jetzt widmet ihm das Monnaie de Paris eine Ausstellung.

© Grayson Perry | Monnaie de Paris

 

Unter dem Titel „Eitelkeit, Identität, Sexualität“ räumt Grayson Perry auf mit hinfälligen Identitätskonstruktionen und Klischeedenken. „Wann ist ein Mann ein Mann?“, fragt sich nicht nur Herbert Grönemeyer sondern auch Grayson Perry und gibt im Museum gegenüber dem Louvre seine eigene Antwort: pinke Motorräder oder Keramikvasen überströmt mit Phallus-Symbolen und Geldnoten sind kitschig-schöne Parodien auf Männlichkeitsbilder und Macho-Kultur. Die Frage der Identität ist ein zentrales Thema seiner Kunst, die mit intelligenter, entwaffnender Frechheit moralische wie ästhetische Bewertungen, die in unserer Gesellschaft – und auch in der Kunstszene – üblich sind, hinterfragt oder auf den Arm nimmt.

Grayson Perry | © Monnaie de Paris

 

Grayson Perry polarisiert – nicht nur seine Kunst erregt bei öffentlichen Auftritten Aufsehen: Die Pariser Ausstellung eröffnete „Claire“, Perrys weibliches Alter-Ego, das bereits ihrer Majestät höchstpersönlich, Queen Elisabeth II., die Hand schüttelte. Den weltbekannten, prestigeträchtigen und mit 30.000 Euro Preisgeld dotierten Turner-Preis nahm Perry 2003 im violetten Satinkleid und Schleifen im hochtoupierten Haar entgegen. Seine Ehefrau und ihre gemeinsame Tochter begleiteten ihn. Warum die Hülle und Fülle der eigenen Persönlichkeit in Schubladen verstecken? Es muss nicht heute Grayson, morgen Paradiesvogel, übermorgen Claire und am Tag darauf glücklich verheirateter Familienvater sein. Grayson Perry lebt alle seine Seiten – jeden Tag.

Grayson Perry Reclining Artist, 2017 © Grayson Perry

 

In seinen Arbeiten stellt er seine eigene Biografie auf eine ganz besondere Weise dar: geschönt. Perry malt und töpfert sich seine Welt, wie sie ihm gefällt. „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, lautet der Titel einer seiner Vasen. Auch mit der Annahme vieler Kunstinteressierter, dass in der wahren Kunst Humor nichts zu suchen hat, räumt Perry gründlich auf und wurde wohl erst durch den Turner Preis von der Kunstbranche ernst genommen. Perry liebt Humor und die Überzeichnung, so kann sich der Betrachter oft ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen!

Matching Pair, 2017 Glazed ceramic Diptych © Grayson Perry

Schon früh entdeckte der Künstler den Spaß an Keramik – und an Frauenkleidern seiner Schwester. Seine Familie und sein Umfeld teilten diese Leidenschaft nicht. Seine Mutter schmiss ihn raus und er transformierte diese Erfahrung, als Jugendlicher zu entdecken, dass ein Teil seiner Persönlichkeit und Sexualität unerwünscht sind, in Kunst: Er gab seinem Alten Ego einen Namen und erklärte ihn zu einer eigenständigen Person. In Perrys Kunst vereinen sich Kunst und Komik mit sehr viel schwarzem Humor, geprägt von der Überzeugung, dass Komödie und Tragödie immer sehr nah beieinander liegen.

Grayson Perry, 2017 © Richard Ansett

 

Seine getöpferten Werke sind fast schon poetisch: warme, ästhetische Blickfänge kontrastieren mit verstörenden Botschaften: von Kinderschändung über Transvestiten und sexuellen Trieben bis hin zum Brexit, Donald Trump oder Teresa May; von Politik bis Melancholie und Offenlegung persönlicher Verletzlichkeit ist thematisch alles dabei.

Perrys Oeuvre, dem kein Argument zu heilig scheint, entlarvt heuchlerische Wertvorstellungen und erweist sich als respektvoll, in erster Linie der Toleranz gegenüber. Das gilt auch für die Kunstbranche, der der „töpfernde Transvestit“, wie er sich gern selbst bezeichnet, ebenfalls ein großes Maß an Toleranz abtrotzt. Dabei liegt die Stärke seiner Kunst zunächst im Handwerklichen; in Komposition, Dekor und Farbe. Erst danach folgt die jeweilige Thematik. Geschnitzt, bemalt, glasiert und dekoriert in überdimensionalen Keramiken. Dafür nutzt der wichtigste englische Kunsthandwerker der Gegenwart verschiedene Medien: Keramiken, Textilien, Gemälde, Bleistiftzeichnungen, Grafiken oder Skulpturen. Perry hat es geschafft: 2010 in die Royal Academy gewählt, wurde er 2013 zum Commander of the British Empire ernannt. Wir lernen: Es ist nie zu spät – oder in Perrys Fall zu früh – Farbe zu bekennen.

© Grayson Perry | Monnaie de Paris

 

Noch bis zum 7. Februar können Besucher in Paris eintauchen in das Universum Grayson Perry – ein Mann mit vielen Talenten – und vielen Gesichtern.

Grayson Perry
Vanity, Identity, Sexuality
19. Oktober 2018 – 03. Februar 2019
Monnaie de Paris
1 Quai de Conti, 75006 Paris, Frankreich

Der Beitrag Töpfernde Transe erschien zuerst auf Culture.