Seit dem Jahr 1992 betreibt das italienische Kaffeeimperium illycaffè das schöne Hobby des Sammeltassen-Sammelns. Ebenso köstlich wie der Kaffee des Unternehmens, zergehen einem die Namen der Künstler und Designer, die die niedlichen Trinkgefäße gestalten, auf der Zunge. So entwerfen Weltklassekünstler wie Marina Abramovic, Ron Arad, Robert Rauschenberg oder Jeff Koons, Julian Schabel, Ansih Kapoor oder Daniel Buren jedes Jahr eine neue signierte und limitierte Edition.
Zum 25. Jubiläum dieser Art Collection, hat sich illy nun selbst beschenkt und einen Meister der Rauminszenierung verdingt. Auf der letztjährigen Biennale ließ der amerikanische Theaterregisseur, Bühnenbildner und Videokünstler Robert Wilson die Tassen tanzen. Mit der für ihn typischen spielerischen Handschrift lädt er die Besucher zu einer Traumreise durch eine fantastische Tassen-Welt ein. Neben der 1991 entworfenen Urtasse von Matteo Thun, inszeniert er einen großen Teil der insgesamt 70 Tassen-Serien in sieben Räumen des Magazzini del Sale in Venedig.
„Es sind Objekte, die das Spielerische in uns ansprechen und zugleich in einer großen Vielfalt Ausdruck ganz unterschiedlicher künstlerischer Ästhetik sind!“ erklärt der Meister, der die zierlichen Tässchen auf einer langen, rosaroten Alice-in-Wonderland-Tafel drapiert oder die Artefakte von allerlei Getier bewachen lässt. Sibirische Tiger treffen auf Wölfe, Kraniche, Panther und Affen, mechanische Hasen „hoppeln“ durch Retro-Interieur, es gibt zischende Vulkanlandschaften und weiße Gärten. Dazwischen Tassen, Tassen, Tassen.
„The responsibility of the artist is not to give answers. It is to ask questions.“ Diesem Zitat von Robert Wilson folgend, nutzen wir während der Ausstellung die Gunst der Stunde, und befragen den „großen alten Mann der Dramaturgie“ persönlich über seine aktuellen Projekte.
Der 1941 in Texas geborene US-Amerikaner Robert „Bob“ Wilson ist auf der ganzen Welt zu Hause und bedient auch in der Kunst gleich mehrere Genres. Als Regisseur, Theaterautor, Maler, Lichtdesigner, Bühnenbildner, Videokünstler und Architekt arbeitet und lebt er hauptsächlich in New York. Wilson gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten des internationalen Gegenwartstheaters. Auch in Deutschland hinterließ er seine Spuren. Nach Musical-Inszenierungen von Klassikern wie Webers Freischütz (The Black Rider) und Stücken von Büchner, Brecht, Wagner oder Strauß, spricht sich seine Fähigkeit herum – weltweit. 2015 machte Wilson Furore mit seiner Neuinterpretation von Goethes „Faust I“ und „II“, einem Musical nach Disney-Bauart. In diesem Jahr erarbeitete er mit dem Rundfunkchor Berlin ein theatrales Werk rund um vier Motetten von Johann Sebastian Bach nach Luthers Bibelübersetzung, die sich in Knut Nystedts Chorstück Immortal Bach und Steve Reichs Clapping Music widerspiegelt. Im Gespräch mit Quality erfahren wir mehr über seine Projekte.
Was hat Sie nach Berlin geführt?
Ich habe sehr enge Verbindungen nach Deutschland, insbesondere nach Berlin. Das Berliner Ensemble fragte mich, ob ich Goethes Faust inszenieren würde. Ich habe eine sehr lange Zeit darüber nachgedacht. Das erste Mal hatte ich Faust vor einigen Jahren in Hamburg und in Köln im Schauspielhaus gesehen. Sie müssen sich vorstellen, ich kam aus Texas und sollte die heilige Bibel der deutschen Literatur inszenieren, obwohl ich kein Wort Deutsch spreche. Manchmal kommt man an einen Punkt wo man sich fragt, was sollte ich lieber nicht tun? Es war eine riesige Herausforderung. Ich hatte drei Dramaturgen, die mir alle Bedeutungen von Faust übersetzten und erklärten, aber ich kam immer mehr durcheinander und wurde immer verzweifelter. Irgendwann wollte ich aufgeben, weil ich mir nicht sicher war, wie ich das zu Ende bringen sollte. Doch dann entschied ich, das Stück als ein schönes Gesicht mit einer Narbe zu betrachten. Ich habe es nie jemandem gesagt, auch nicht den Schauspielern, aber sie haben mir sehr geholfen es auf die Beine zu stellen.
Wie haben sie es schließlich vollendet?
Es sollte einfach sein. Es ist ein Stück mit zwei Akten und handelt hauptsächlich von zwei Personen, Mephisto und Faust. Die erste Hälfte ist eher eine Erzählung, der zweite Akt hingegen eher wie eine lange Reise. Die zweite Hälfte ist moderner und zeitgenössischer, man ist freier mit seinen Assoziationen. Plötzlich findet man sich irgendwo wieder und weiß nicht, wie man dort hingekommen ist. Ähnlich wie bei Kafka. Das macht die Sache interessant. Es geht um zwei Persönlichkeiten und wie sie zueinanderkommen. Zwei Welten, die eine werden. Man hat eine rechte und eine linke Hand, aber es ist ein Körper. Rechte Seite und linke Seite vom Gehirn. Aber trotzdem ein Verstand. Es handelt von zwei Personen, aber vielleicht ist es ein und dieselbe.Da die erste Hälfte eher eine Erzählung ist, dachte ich mir, ich könnte sie visuell zeitgenössischer, moderner und abstrakter gestalten. Die zweite Hälfte, die meiner Meinung nach moderner ist, wollte ich ganz anders darstellen; mit einer Landschaft im Stil des 19. Jahrhunderts.
Mögen Sie die eine oder die andere Hälfte mehr?
Ich glaube, um das beurteilen zu können, fehlt mir die nötige Distanz. Wenn sie einen dunklen und einen hellen Raum haben, hilft ihnen der eine, den anderen erkennen zu können, da sie so unterschiedlich sind.
Wo liegt der größte Unterschied zwischen Ihnen und den Deutschen?
Ich bin so anders als die Deutschen. Es beginnt bereits bei der Bildung; die Deutschen brauchen einen Grund etwas zu tun. Das frustrierte mich, als ich zuerst in dieses Land kam. Alle fragten mich, warum ich das tue und ich wusste einfach keine Antwort darauf nur dass ich einen Effekt erzielen wollte. Wir kamen einfach von zwei völlig unterschiedlichen Ausgangspunkten. Die Bildung derDeutschen kommt eher von den Griechen. Ihr sucht nach einem Grund, danach richtet sich das was ihr tut. Ich richte mich eher nach dem östlichen Grundgedanken. Ich lege mich nicht fest. Als Künstler frage ich: „Was ist es?“ und nicht „Warum ist es?“, denn dann hätte ich keinen Grund mehr zu handeln. „How all occasions do inform against me, and spur my dull revenge! Examples gross as earth exhort me. Witness this army of such mass and charge. Led by a delicate and tender prince, Whose spirit with divine ambition puffed. Makes mouths at the invisible event.“ Das ist von Hamlet. Ich habe es mit 12 Jahren gelernt, jetzt bin ich 75 und ich rezitiere es immer noch, und jedes Mal auf eine andere Art und Weise. Es steckt voller Bedeutung. Das möchte ich so stehen lassen, damit es in uns wirken kann.
Also war es für Sie auch ein Überraschungseffekt, Ihre eigene Installation zur Eröffnung in Venedig anzuschauen?
Ja, mit dem Sound und den Farben hat es am Ende eine ganz besondere Wirkung. Man hat den runden Raum und den geraden Raum. Man hat viele Cups in einem Raum, dann hat man im nächsten Raum nur einen. Ich habe mich entschieden einen kreisförmigen Raum zu gestalten. So ist das in jedem Gebilde: Man muss sich entscheiden, ob man gerade und kurvige Linien haben möchte oder eine Kombination aus beidem.
Liegen da Ihre gestalterischen Ansätze? Ist es immer zuerst die Architektur, die Sie im Kopf haben?
Ja, ich sehe es erst mathematisch und schaffe eine abstrakte Konstruktion. Es ist Avantgarde, ich hasse dieses Wort. Ich probiere einfach Varianten aus, es ist wie beim A, B und C. Es gibt viele Kombinationen B, C, A, und C, A, B … Ich erschaffe nichts Neues. Es ist eine klassische Struktur. Avantgarde ist, die Klassik neu zu erfinden.
Wenn Sie an einer Installation arbeiten, stellen sie sich den „Artspace“ wie eine Art Bühne vor?
Es ist wie eine Aneinanderreihung von Dingen, die man zusammenstellt. Es ist wie eine Kette ein Steinchen nach dem anderen. Oder wie ein Cheeseburger: Du hast das Brot, das Fleisch, den Käse, den Ketchup und am Ende hast du ein großes Sandwich mit all diesen Lagen.
Wie haben Sie die verschiedenen Illy Cups der letzten 25 Jahre integriert? In einigen Räumen haben Sie alle gezeigt und in anderen nur einzelne.
Als ich dieses Projekt begann, schickte man mir Bilder von all diesen Cups. Diese Cups stellen für mich viele verschiedene Persönlichkeiten dar. Zusätzlich musste ich an die Aussage denken: „Alles was man denken kann ist wahr“.
So etwas wie beim Zauberer von OZ? Ein sehr schöner Gedanke und ein schönes Motiv für Ihre Inszenierung hier in Venedig. Vielen Dank für das Interview.
Der Beitrag Robert im Tassenland erschien zuerst auf Design.