von Anke Sademann
„Viva Arte Viva!“ Es lebe die Kunst, sie lebe. Ok – verstanden. Dieses sehr direkte Repetitio ist das doppelbödige Loblied der 57. Kunst-Biennale in Venedig. Wir schnappen uns das zweite Viva und bauen es um zum Rahmenprogramm. Viva Arte – Viva Venezia! Mangiare, bere, dormire. Feudale Lichtorte, raffinierte Architektur in erster und zweiter Reihe treffen dabei auf versteckte Schattenorte in Gassenlabyrinthen. Dazwischen die Form gewordenen Viva-Gedanken der Biennale-Künstler. QUALITY verrät schummrige Insider-Locations, erste-Sahne-Adressen und besucht Artisten mit Spirit, Sicherheit bei Schräglage und Empathie für die Magie von Räumen.
Fast sechs Monate lang wird Kunst zelebriert, aber auch der Zustand des Künstlers (Viva Arte Viva!). Wie jedes Jahr sind die internationalen Kunststationen über die norditalienische Lagunenstadt und ihre 118 kleine Inseln verteilt. 120 Künstler aus 51 Ländern bespielen 80 Länder-Pavillons. Nach der Biennale ist vor der Biennale.
Für Insider ist der Herbst die beste Zeit für eine Veneziatour. Der sommertouristische Run durch die staubig-stickige Atmosphäre ist vorbei. Die klare Luft befreit den Blick in alle Richtungen. Das Herbstlicht in der Laguna und die aparte, fast monochrome Farbpalette hat bereits Maler wie Tizian oder Canaletto inspiriert. Die Ruhe und das fahle Blau des Wassers treffen auf die Gelassenheit der Stadt. Die autofreie, durch 45 gewundene Kanäle getrennte und von den Bögen der vier Hauptbrücken (neuerdings weniger ästhetisch aber löblich mit barrierefreien Rampen) überspannte Stadtinsel ist nur zu Boot über den Canal Grande zu erreichen. Auf der Rialtobrücke, der Ende des 16. Jahrhunderts erbauten ältesten Kalksteinbrücke, schieben sich die Touristen Richtung San Marco. Während der Biennale wird die Ponte dell´ Accademia zum Hotspot, da sie die schnellste Verbindung zu einigen wichtigen Ausstellungsorten ist. Benannt nach dem Museum Gallerie dell Accademia, das in den Gebäude Santa Maria della Carità untergebracht ist, gewährt die schlichte Eisenbrücke einen der schönsten Blicke auf den Canal Grande.
Eine sachliche Leichtigkeit verströmt die Ponte della Costituzione. Aus Beton, Stahl und Glas wurde die vierte im Bunde 2008 als jüngste Brücke erbaut, die den Bahnhof Santa Lucia und die Piazzale Roma verbindet. In den labyrinthischen Gassen Venedigs herrscht tagsüber ein ebenso lebendiges Treiben wie auf den Wasserstraßen, wo die Vaporettis Gäste und Einheimische wie Wasser-Linienbusse von Steg zu Steg bringen. Die Riva-Taxiboote mit ihrer Edelholzanmutung sind der stilvollste Transfer. Sie bringen die betuchte Clientèle auf kleine Inseln mit Luxushotels, die wie Refugien aus alten Filmen wirken.
Das von über 200 prächtigen Gotik-, Renaissance- und Barock- Palazzi mit ihren dekorativen marquisettas dominierte Stadtpanorama gleicht einer Kulisse, die Hermann Hesse zu Recht als Lagunenzauber beschrieben hat. Biennale-Jüngern ist natürlich der Palazzo Grassi bestens bekannt. Der spätbarock-klassizistische Palast mit den auffälligen Rundbogenfenstern und den vielen kleinen Balkonen ist eine der bekanntesten Plattformen für die alljährliche Kunstschau. Dahinter versteckt sich das Teatrino, das der japanische Stararchitekt Tadao Ando als Sichtbetonarchitektur mit Grausteinanmutung direkt hinter das legendäre Grassi gesetzt hat. Mit 5 Betonmischern und Kränen wurde das Gebäude mit der minimalistischen Grausteinanmutung realisiert.
Eine ähnliche architektonische Leichtigkeit unter schwierigen Voraussetzungen erschuf Carlo Scarpa in den 60 ern, als er den Olivetti Showroom umbaute. Elemente wie die zentrale Treppe, deren versetzte Stufen zu schweben scheinen erhebt den Gesamtraum zu einer gelungenen auratischen Inszenierung mit Palazzofeeling. Wie nah Kunst sich an Sakralem orientiert und mit den architektonischen Gegebenheit Venedigs spielt zeigt der amerikanische Künstler Slater B. Bradley, der die La Maddalena (Kirche der heiligen Maria Magdalena) in seine eigene heilige Stätte transformiert. Bradley platziert sieben seiner sogenannten “Solar Shields“, mit Goldmarkern aufwendig überübermalte Fotografien, die sich aus den Reisen des Künstlers zu Orten seiner spirituellen Erweckung speisen. Durch die Übermalung, die nur partiell Ortsfragmente oder kompositionelle Details preisgibt, verwandeln sich die Bilder in ätherisch goldene Energiefelder, die Vorstellungen von elektromagnetischen Wellen, heiligen Gewässern und innerer Erleuchtung erzeugen. Die ‚Shield’ Serie verbindet materielle mit spirituellen Dimensionen- ein selbst erschaffener temporärer Kunstpalazzo der besonderen Art.
Jeder Adelspalast verfügt über einen trockenen/kalten Eingang zur Straße und einem direkten Wasserzugang. Nach dem Prinzip vorne hui, hinten naja, geht so, vereinen sie das Herrschaftliche mit der Patina. Sie instand zu halten ist ein kostspieliges Unterfangen für das es oft Projekte und Investoren braucht. Die Baumaterialien für Mauerwerk und Dachziegel wurden früher aufwendig vom weit entfernten Festland in das rohstoffarme Venedig transportiert. Der rote Marmor kam beispielsweise aus Verona, der weiße Kalkmarmor aus Istrien.
Im Mittelalter standen die Paläste der berühmtesten Familien nicht direkt am Canale Grande, sondern an Seitenkanälen oder nach hinten verlagerten Plätzen. Erst im 13. Jahrhundert begann man, die Bauten, die auf vielen kleinen Inseln errichtet waren, zum Kanal hin zu erweitern. Gleichzeitig wurden die Hauptfassaden zum Wasser hin verlegt, die zuvor zur Landseite blickten. Alle folgen dem gleichen Bauprinzip, die gleiche Höhe, ein dominierendes Mittelteil und ein seitlich untergeordneter Flügel. Durch den sandigen, unsoliden Grund musste vor allem leicht gebaut werden und wie alle Häuser stehen auch Edelbauten auf einem Fundament aus unzähligen Eichenpfählen, die metertief in den Untergrund gerammt sind. Die großen Fenster sind ein ästhetischer, aber auch ein baulicher Moment. Zum einen spiegeln sich die Lichtreflexionen in den Räumen zum anderen sind die Prunkvillen dadurch nicht nur lichter, sondern auch leichter. Ein Beispiel dieser fast schon ätherischen Baukunst ist der Palazzo Ducale (San Marco 1), der förmlich über dem Wasser zu schweben scheint. Seine offenen Säulengänge demonstrieren einen architektonischen Open Space für Jedermann. Nur die muri salati (die Lagunenwasser) umspielen und beschützen ihn.
Durch das piantereno, das für alle Palazzi gängige, offene Wassergeschoss wurden die feinen Waren und Geschmeide von Schiffen gebracht und kaufmännisches Geschick war die Grundlage für einen Reichtum, der wiederum das Wohnen im Privatpalast ermöglichte. Venedigs wohl berühmtester Patrizierpalast ist die Ca‘ d‘ Oro, das goldene Haus aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts. Die Fassade mit dem überreichen, ursprünglich wohl vergoldeten Maßwerk ist nur zweiteilig, nicht symmetrisch gegliedert wie etwa der spätbarocke Palazzo Miani Coletti Giusti links daneben. Im stark umgebauten Inneren befindet sich die Sammlung Franchetti mit bedeutenden Werken der Renaissance. Die pali, bunte Pfähle an denen die Schiffe befestigt wurden, gelten als eines der visuellen Markenzeichen der Stadt.
Innen im Erdgeschoss und auf den Treppen war es eher dunkel und stickig. Im Piano nobile, dem Obergeschoss, wohnte und lebte man. Der große zentrale Saal (portego) war meist zu beiden Seiten nochmals von kleineren Räumen umgeben. Ganz oben im mezzanin wurde gekocht und hier hatten die Dienstboten ihre Kämmerlein. Statt eines Innenhofes besaß jedes Anwesen einen eigenen Brunnen. Für alle anderen gab es vom Regenwasser gefüllte Brunnen der öffentlichen Zisternen auf den Campis. Interessant sind auch die Altanen, hölzerne, balkonartige Aufbauten über den Dächern, auf denen man sicher den venezianischen Sternenhimmel betrachtete. Die zu jeder Tageszeit wechselnden Lichteffekte verbreiten die für Venedig so typische Aura des Leichten, die Besucher aus aller Welt verzaubert und in die Stadt des Müßiggangs, der Liebe, der Musik – und Kunst locken.
Zahlreiche Palazzi wurden zur gewerblichen Neunutzung und für den Tourismus umgebaut. Da die Wurzel des Europäischen Handels aller Länder in Venedig saß, gab es auch für Deutschland eine Art Handelsvertretung. Das Revival der mit feinster Ware gefüllten Kaufmannskammern ist der Umbau des 500 Jahre alten Fondaco dei Tedeschi nahe der Rialtobrücke, das just von der Architektengruppe um Rem Koolhaas (OMA Office Work) zu einem mehrstöckigen, 7.000 qm großen Kaufhaus der Extraluxusklasse umgebaut wurde. Kritisch beäugt zwischen Abwehr und Begierde scheint die Mutation gelungen. Die einzelnen Ebenen sind durch Rolltreppen verbunden. Wo früher deutsche Kaufleute wie Fugger, Höchstetter und Kolb ihre Preziosen (Gold, Silber, Bernstein, Pelze, Messing oder Tuch) lagerten, können heute neben Marken-Fashion, -Duft und schmuckem Geschmeide auch hochklassige Weine sowie Edeltropfen von Moët Hennessy goutiert werden. Im Atrium befindet sich ein Café-Restaurant mit Glasdach – Star-designt von Philippe Starck ist es als urbaner Campus von außen zugängig. Die hölzerne Dachterrasse ist ebenso ein Public Space, um das Stadtpanorama mit oder ohne Champagner auf sich wirken zu lassen. Wer über Nacht den hochherrschaftlichen, barocken Prunk genießen möchte, der quartiere sich im historischen Viertel San Polo in eines der authentischsten zum märchenhaften Luxushotel Aman Venecia umgebaute Palazzo Papadopoli ein. Wer sich eine größere Entfernung zum Trubel wünscht, lässt sich zum Luxus-Retreat JW Marriott Venice Resort & Spa auf die Isola delle Rose navigieren. Die ehemals von Mönchen betriebene Lungenklinik wurde vom preisgekrönten Architekten und Designer Matteo Thun in eine Hotelanlage mit Privatpark und dem Zwei-Sterne-Restaurant Dopolavoro transformiert. Auch das 5 Sterne Hotel San Clemente Palace Kempinski (Leading Hotels of the World) auf der Privatinsel San Clemente ist ein luxuriöses Refugium der absoluten. Von den 190 Zimmern und Suiten blickt man die Lagune oder den jahrhundertealten Park. Gleich drei Restaurants – Acquerello, La Dolce und Insieme den Gaumen mit ikonischen italienischen und venezianischen Spezialitäten. Man tritt eine Zeitreise an ohne sich zu bewegen.
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