Gekippt und Umgedreht

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Erwin Wurm ist das Enfant Terrible der österreichischen Kunstszene. Er portraitiert Menschen als Essiggurken, lässt Autos wie Käse in der Sonne schmelzen oder bringt Lastwagen den Hüftschwung bei. Zusammen mit der Bildhauerin Brigitte Kowanz bespielt Erwin Wurm derzeit den Österreichischen Pavillon auf der 57. Kunstbiennale in Venedig. Ein Gespräch über Skurrilität, Nomadentum und Sehnsüchte.

Herr Wurm, sie bringen Autos zum Schmelzen und schrumpfen Einfamilienhauser zu Puppenstuben. Warum lieben sie es, die Dinge zu deformieren?
Dahinter steckt die Faszination am Kaputtzumachen und durch kaputtmachen wieder aufbauen. Wenn man einen Perspektivwechsel vollzieht und dadurch auch die räumliche Perspektive verändert, fällt einem vieles erst auf. Man beginnt, die Dinge anders zu sehen. Das ist spannend für mich.

Mit der Arbeit „Narrow House“ haben Sie das Wohnhaus ihrer Eltern originalgetreu nachgebaut. Während die Länge mit dem Vorbild identisch ist, wurde die Breite auf 1,1 Meter zusammengestaucht. Auch hier wird das Alltägliche in eine neue Perspektive gerückt.
Mich interessiert vor allem das lange Elternschlafzimmer im „Narrow House“. Das Bett ist ganz normal zwei Meter lang, jedoch nur 30 Zentimeter breit. Diese eigenartig eingequetschte Situation hat schon fast etwas Beängstigendes. Und hängt ja über dem Bett das Kreuz. Der vertikale Balken ist gequetscht, der horizontale stark verkürzt. Das wirkt sehr skurril und eigenartig. Da wird die Realität gekippt und umgedreht.

Sie bespielen derzeit den Österreichischen Pavillon auf der 57. Kunstbiennale in Venedig. Ein Teil ihrer Arbeit sind die sogenannten „One Minute Sculptures“, bei denen die Besucher aufgefordert werden, mit Gegenständigen verschiedene Handlungen auszuführen oder bestimmte Position auf ihnen einzunehmen. Worum geht es Ihnen hierbei?
Viele Leute denken, dass es allein um den Witz geht. Sicher gehört auch Humor dazu. Doch worum es hierbei geht, ist etwas ganz anderes: Es geht das Paradoxe. Wenn man die „One Minute Sculptures“ ausführt, ist man fast erschrocken über die Möglichkeit, die Welt anders zu sehen. Es ist spannend, wenn die Leute ihre übliche Rolle als betrachtendes Subjekt zugunsten eines betrachtet werdenden Objekts aufgeben. Heute übernehmen die Zuschauer sogar die Dokumentation: Sie machen Selfies und stellen sie ins Netz.

Die Objekte, mit denen die Zuschauer die „One Minute Sculptures“ ausführen, passen allesamt in einen Wohnwagen aus den sechziger Jahren, der ebenfalls Teil der Ausstellung ist. Was hat es damit auf sich?
Ich wollte mich dringenden Themen unserer Zeit stellen: Migration, Reisen, Fahren, Nomadentum, Massentourismus. Das spielt sich da ab. Ich habe den Wohnwagen auf der Straße gesehen, als ich von meinem Atelier auf dem Land zurück nach Wien gefahren bin. Ich bin sofort stehen geblieben und habe ihn mit allen Möbeln drin gekauft.

Warum ein Wohnwagen?
Er hat mich angesprochen hat, weil er so häßlich ist – zumindest aus der heutigen Sicht. Als sich der Massentourismus in den fünfziger und sechziger Jahren entwickelt hat, ist ja ganz Mitteleuropa nach Italien gefahren. Die Sehsucht des Südens hat sie alle gepackt. Die Sonne. Die Lust am Meer am Wein, an den schönen Frauen oder den schönen Männern. Gleichzeitig sind viele Arbeitssuchende von Italien nach Deutschland, Belgien, Schweiz gekommen. Es hat ein regelrechter Austausch stattgefunden. Migration im wahrsten Sinne des Wortes. Der Caravan symbolisiert ja: Ich fahre in die Fremde, nehme aber alles mit: mein Essen, meine Möbel, meine Küche, sogar mein Klo.

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