Spiegel

BERLINER SPIRITUOSEN
15. Dezember 2017
zweites Leben
15. Dezember 2017

Von Anton Hart

In Oscar Wildes Aphorismen steckt oft weniger Ironie als man denkt. Ende des 19. Jahrhunderts schrieb der irische Dandy in Dorian Gray: „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach Äußerlichkeiten. Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren.“ Die besten Scherze sind die, die gleichzeitig ernst gemeint sind. In einer Welt in der das Sichtbare gerne als flach bezeichnet wird, schulen wenige von uns den Blick, um Oberflächen „tiefer“ zu betrachten.

Romain Lagrange Anguli, 2012

 

Die Ausstellung SUR/FACE im Frankfurter Museum für angewandte Kunst half dabei. Sie beschäftigte sich mit spiegelnden Oberflächen und parodierte auf subtile Weise die Flachheit, die Oberflächen prinzipiell unterstellt wird. Sie deuten dort einen Raum an, wo keiner ist, und leben parasitär, von dem was sie umgibt. Und dennoch: Selten waren sie so omnipräsent wie in unserer Zeit.

John M. Armleder Ohne Titel (Furniture Sculpture) , 2002

 

Seien es Hochhäuser, Boutiquen, Fitness Studios oder Smartphones: Alle Oberflächen sollen heute spiegeln. Doch gleichzeitig verachten wir den Narzissmus, den spiegelnde Oberflächen suggerieren. Vielleicht stört uns dabei, dass Spiegel unsere innere Zerrissenheit visuell darlegen, die oft so schnell zwischen Vergötterung des Egos und Selbsthass schwingen. Doch was augenscheinlich Kontraste sind, zeigt sich beim näheren Betrachten als gar nicht so verschieden. Auch im Selbsthass liegt viel Narzissmus, da ihm ein überzogener Bezug zum Ich zu Grunde liegt.

Halb/Halb Vinkel Mirror, 2013

 

Dass Spiegel nicht unbedingt den Blick auf das Selbst richten müssen, zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass sie gerne dazu verwendet werden, andere indirekt zu beobachten. Aber abgesehen vom Voyeurismus und pathologischen Narzissmus, ermöglichen sie auch die Selbstwahrnehmung. Diese ist so fest mit unserem Verständnis der eigenen Person verbunden, dass es schwer zu sagen ist, wie wir uns ohne sie überhaupt und als Einheit wahrnehmen könnten.

Campana Brothers Scrigno, 2009

 

Die Widerspiegelung der perfekten Reflektion birgt aber auch ein Mysterium. Sie gibt nichts von der eigentlichen Beschaffenheit des Materials dahinter wieder. Das stetige Spiel des „Hide and Reveal“ macht den Spiegel zum Symbol unserer Zeit. Denn wir werden gleichzeitig stetig transparenter und überwachbarer, aber verschwinden als Personen auch immer mehr hinter einer glatt-reflektierenden Oberfläche, die nichts von unserem Inneren wirklich preisgibt. Die Ausstellung SUR/FACE zeigte über 100 Exponate von Ron Arad, Oscar Zieta, Isa Genzken, Andy Warhol und vielen anderen. In der Vielfalt der Werke wurde die Doppeldeutigkeit und Tiefe der spiegelnden Oberfläche für den Besucher fühlbar.

Karen Chekerdjian Object 04 (D E F), 2009

 

SUR/FACE. Spiegel, Museum angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 24.06.-01.10.17 Looking Glass

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