von Markus Rausch
Roadrunners ewiger Erzfeind Wile E. Coyote konnte in der Luft laufen, solange er nicht nach unten schaute. Besucher der chinesischen Provinz Hunan übertreffen den Zeichentrick. Sie stehen in der Mitte einer klaffenden Schlucht, starren in den 300 Meter tiefen Abgrund unter ihren Füßen und stürzen nicht ab.
Der durchsichtige Laufsteg über den Grand Canyon im Zhangjiajie Nationalpark überspannt 430 Meter. Die längste Glasbrücke der Welt trägt 800 Personen gleichzeitig und stammt vom israelischen Architekten Haim Dotan. Sie musste kurz nach ihrer Eröffnung im August 2016 vorübergehend gesperrt werden, weil mehr als die täglich erlaubten 8.000 Abenteuerlustigen den Gang über das gefühlte Nichts antraten. Für Baukosten von 5 Millionen Euro sollen bis zum Jahr 2018 entlang der Wanderwege der zum UNESCO Weltnaturerbe erklärten Hügellandschaft weitere gläserne Gebilde entstehen, die Schwebefreiheit und Sprachlosigkeit schaffen.
Das Architekturbüro ‚Martin Duplantier Architectes‘ plant drei weitere Brücken und eine Anzahl Pavillons zu errichten. Während auf der Glasbrücke über den Zhangjiajie Grand Canyon nur Menschen ohne Höheangst schwindelfrei bleiben, wird man die neuen Entwürfe gar nicht erst betreten müssen, um das Gleichgewicht zu verlieren. Bei bloßer Betrachtung dreht sich der Boden unter den Füßen, egal ob Glas oder Erde unter den Sohlen knirscht. Die Welt ist auf den Kopf gestellt wie in einem Escher-Gemälde, hätte Escher Science-Fiction Romane illustriert, und das Auge verschiebt die von Menschenhand modifizierte Naturfassade in alle erdenklichen Winkeln im Versuch, sie zu verstehen.
Da ruht ein Regenbogen auf aus Kristall gewobenen Spinnfäden. Hier glitzert eine Fata Morgana zwischen Quarzsäulen. Dort spiegelt ein silberner See Klippen und Himmel. Eine Brücke, geformt wie eine elliptische Galaxie, offenbart ein Loch, in dem ein Netz Wagemutige vor dem Fall ins Bodenlose bewahrt. Eine andere, zweistufige Brücke erlaubt Besuchern der unteren Ebene, sich über der Leere niederzulegen. Die letzte Brücke zaubert ein Trugbild aus künstlichen Wolken und Wasser über schwarzem Stein.
Die Pavillons versprechen Reisenden eine 360 Grad Aussichtsplattform samt angeschlossenem Café. VIP-Gäste dürfen die Nacht im Park verbringen. Dann träumen sie in den frühen Morgenstunden vielleicht von unwirklichen Anblicken wie den frei schwebenden Hallelujah-Bergen aus James Camerons Avatar, denen die Sandsteinkulissen Chinas als Musen dienten und deren physikalisches Wunder nicht mehr ganz so unglaublich wirkt, nachdem man im Nationalen Waldpark Zhangjiajie an Orte kam, wo Vorstellungskraft die Schwerkraft übersteigt.
Photos: © Zhangjiajie Grand Canyon Tourism Management Co., Ltd.
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